Adventskalender 23. Dezember: Mensch werden

Publiziert am 23.12.2025

An Weihnachten geht es um die Menschwerdung Gottes. Doch was heisst das eigentlich? Dazu gebe ich Dir heute einen Text von Stefan Scholz (in Auszügen) mit. Ich wünsche Dir viel Spass beim Lesen, Nachdenken, Weiterdenken, Unterwegssein.

Pfarrer Uwe Hayno Klaas Tatjes

Ein Text von Stefan Scholz (in Auszügen): Das Kind in sich umarmen
Ein gestandener Autoschlosser, 
neununddreißig Jahre, verheiratet,
zwei Kinder.
Ein Kraftpaket, Respekt einflößend. 
Doch wenn sein Chef ihn ´runterputzt,
weil er den Terminplan für eine Inspektion
nicht einhalten konnte,
da ist ihm,
als wäre er gerade mal fünfzehn
und stände mit geballten Fäusten in der Tasche
vor seinem Lehrer,
der ihn vor der ganzen Klasse zur Sau machte,
weil die Englisch-Vokabeln sich weigerten,
in seinem Kopf zu bleiben.
Schnell vergessen ist das,
wenn des Abends die Kinder wie die Kletten
an ihm hängen
und er mit ihnen herumtollt
und sich insgeheim wünscht,
ihnen ein gleichaltriger Spielkamerad zu sein,
mit sieben oder zehn Jahren auf dem Buckel
statt seiner neununddreißig.
Seine Frau setzt dann
Ihren leicht spöttelnden Blick auf.
Er kann ihre Gedanken den Augen ablesen:
Das Kind im Manne, denkt sie,  
und er denkt,
wenn sie wüsste,
wie Recht sie hat,
wie gerne er Kind wäre in einer Oase
von Wärme und Geborgenheit.
…….
Froh ist er um seine Frau.
Streit gibt es selten.
Es tut gut,
abends neben ihr zu liegen
und den Kopf an ihren Leib zu bergen.
Hier ist der einzig geschützte Raum,
wo er unbemerkt Kind sein kann.
……..
Erwachsene lieben Kinder
Und fürchten das Kind in sich.
Es begehrt auf, 
wo Anpassung gefordert ist.
Es weint,
wo hart durchgegriffen werden soll.
Es will vertrauen,
wo Misstrauen der beste Selbstschutz wäre.
Ein Erwachsener zeigt nicht,
dass er in noch vielem Kind ist.
Er verbirgt die pubertäre Akne.
Der Körper ist gewachsen,
die Seele konnte nicht Schritt halten.

Ob es deshalb so einfach war,
uns um Weihnachten zu betrügen?
Weihnachten haben wir den Kindern überlassen.
Ihnen erzählen wir noch das Märchen aus
Tausendundeiner Nacht
von dem Jesuskind,
den Engeln und Hirten und Schafen,
von Ochs und Esel,
ihnen legt noch das geflügelte Christkind
die Geschenke unter den Baum.
Dem Kind des Erwachsenen hingegen
Wird der Schnuller
Der kommerziellen Weihnachtssentimentalität
In den Mund geschoben
Und so zum Schweigen gebracht.
Die ausgebreiteten Arme
Wollen einen Menschen umarmen, 
stattdessen erhält es üppige Geschenke
In die Hände gedrückt.
Die Heilige Familie gastiert
Als nostalgische Dekoration 
unter Tannenbäumen,
dabei könnte sie in dem erwachsenen Kind
die Sehnsucht nach Liebe wecken.

Weihnachten ist ein Fest für Erwachsene.
Statt des Jesuskindes
Sollte man einen Spiegel in die Krippe legen,
dass jeder sich sieht
und das Kind in sich herzlich umarmt,
statt es mit billigem Festtagsschmus
auf ein Übermorgen zu vertrösten,
das es nie geben wird.
……………
Die Botschaft von Weihnachten.
Darum sollten wir uns nicht betrügen lassen,
schließlich geht es um Menschwerdung,
um unser Leben.

Als passende Musik zu diesen Gedanken, die zeigt, wie in uns etwas wachsen und zum Klingen kommen kann, wähle ich „Little Blue“ aus den Mahagoni Sessions von Jacob Collier:

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