Krokusse im Winter
sie fragen mich nach der auferstehung
sicher sicher gehört habe ich davon
dass ein mensch dem tod nicht mehr entgegenrast dass der tod
hinter einem sein kann
weil vor einem die liebe ist
dass die angst hinter einem sein kann
die angst verlassen zu bleiben
weil man selber gehört hab ich davon
so ganz wird dass nichts da ist
das fortgehen könnte für immer
doch frag nicht nach der auferstehung ein märchen aus uralten zeiten
das kommt dir schnell aus dem sinn ich höre denen zu
die mich austrocknen und klein machen ich richte mich ein
auf die langsame gewöhnung ans totsein in der geheizten wohnung
den grossen stein vor der tür
ach frag du mich nach der auferstehung
ach hör nicht auf mich zu fragen
dorothee sölle
Heute vor genau 12 Jahren, am dritten Advent, lernte ich Doris kennen. Sie kam in meine Predigt und am Ausgang sagte sie mir: „Ich wollte Sie gerne kennenlernen, denn Sie werden mich beerdigen. Und das wird bald sein…“. Daraus wurde ein gemeinsamer Weg. Im Juni darauf beerdigte ich sie. Dazwischen gab es viele Besuche, Gespräche, intensiven Gedankenaustausch und auch Schweigen.
In Erinnerung an sie ein Tagebucheintrag von mir:
„Was man nicht so alles sagt. Ich habe es längst vergessen. Aber als wir am ersten Weihnachtstag um den Tisch saßen, zu Mittag aßen und darüber sprachen, wie lange es wohl noch gehen würde mit Doris, da hatte ich keine Zweifel, dass sie das neue Jahr noch sehen werde. “Und vielleicht, ” so habe ich wohl gesagt, “siehst Du sogar noch die Krokusse blühen.” Inzwischen ist es so, dass Doris spürt, dass der Tod nun vor der Tür steht oder schon eingetreten und es nicht mehr lange dauern wird, bis er ihr die Hand auf die Schulter legt. Sie ist froh, dass es noch zu Hause geht. Hoffentlich bleibt das so bis zum Schluss. Und sie hat sich an diesen Satz erinnert. Und als sie mir geschrieben hat, da hat sie ein paar Krokusse ausgeschnitten und darunter geschrieben: Es ist bald soweit… Der Doppelsinn ist mir nicht entgangen… Bald ist es soweit, dass die Krokusse blühen und ich verblühen werde… Und in der Karte botet sie um meinen Besuch. Und jetzt sitzen wir hier und trinken Kaffee und reden, lachen ab und zu und spüren beide, wie ihre Kraft abgenommen hat. Wir halten in ihrem Garten Ausschau nach Krokussen, die vorwitzig schon ihr Köpfchen aus der Erde geschält haben. Hier und da hat es schon Farbtupfer. Das ist nicht leicht mit dem Tod. Er kann so vieles lähmen. Aber bei Doris habe ich den Eindruck, sie wird ihm bis zuletzt ziemlich lebendig begegnen. Doris macht es sich und mir nicht einfach. Mit dem Glauben ringt sie bis zuletzt. Sie stellt viele Fragen. Ihr streng calvinistisches und freudloses Elternhaus, der übermächtige Vater, wirken nach. Aber am Schluss betet sie in der letzten Zeit immer selbst. Das sind sehr schöne, intensive Momente mit Gott, den sie “große Kraft” oder “grosse Geistin” nennt. Es geht dabei weniger um den Tod und das was kommt, sondern vielmehr um Dankbarkeit für das was an Leben da war und was an Leben noch immer möglich. Mir kommt der knorrige Text von Dorothee Sölle in den Sinn, in der guten Tradition der feministischen Theologie will sie weg von den Vertröstungs- und Vernebelungs-strategien des Jenseits, sie fragt nach der Auferstehung in das Leben hinein. Und während ich mit Doris nach Farbpunkten in ihrem Garten suche, denke ich, dass es jetzt so gut ist. Am Leben sein, im Leben sein, das Leben teilen, bedenken, lachen, leben und lieben. Was dann noch kommt, ist im Moment gar nicht so wichtig. Aber ich hoffe für Doris, dass sie es erfahren kann: dass der Tod hinter ihr bleibt, weil nur noch Liebe vor ihr ist und dass sie keine Angst haben muss, verlassen zu werden. So ganz und gar da ist, dass sie nichts verlieren kann, einfach zu Hause ist.
Ja, wenn wir aufhören, zu glauben und zu zweifeln… Wenn wir uns in der trügerischen Gemütlichkeit unserer Selbstgefälligkeit einnisten, einfach zufrieden sind, dann sind wir wie eingegraben. “Keine Ahnung…”, wie die Jugendlichen oft sagen, ein schlimmer Satz. Mir gefällt Doris mit ihren Zweifeln, ihrer Ehrlichkeit und ihrer Fähigkeit sich dem Leben und dem Tod zu stellen.
Und wie ich einmal beim Tod eines Bauern predigte, der immer so an der Blüte seiner Apfelbäume hing: wer weiß denn, was uns auf der anderen Seite blüht? Die Krokusse erinnern gleichzeitig an Verblühen und an neues Leben. Ich wünsche Doris, dass sie hier und dort die Krokusse blühen sehen darf.“
Ist nicht auch der Advent die Suche, der Versuch, sich nicht damit abzufinden wie es ist? Sich nicht abstumpfen zu lassen? Sich nicht zu gewöhnen? Und nach Spuren des Lebens zu suchen, hier und jetzt, unerwartet und befreiend? Wollen wir zusammen Krokusse im Winter suchen gehen?
Pfarrer Uwe Tatjes
doris liebte klassische musik, die stücke für ihre beerdigung hatte sie mit bedacht ausgewählt… dieses lied hätte ihr auch gefallen…
„nella fantasia“ nach dem lied „gabriel´s oboe“ von enrico morricone, gesungen von katherine jenkins
https://youtu.be/GNdEaZ0A-XI?si=9CdgWi5RgHbFzRI8
Nella fantasia io vedo un mondo giusto,
Li tutti vivono in pace e in onestà.
Io sogno d’anime che sono sempre libere,
Come le nuvole che volano,
Pien‘ d’umanità in fondo all’anima.
Nella fantasia io vedo un mondo chiaro,
Li anche la notte è meno oscura.
Io sogno d’anime che sono sempre libere,
Come le nuvole che volano.
Pien‘ d’umanità in fondo all’anima.
Nella fantasia esiste un vento caldo,
Che soffia sulle città, come amico.
Io sogno d’anime che sono sempre libere,
Come le nuvole che volano,
Pien‘ d’umanità in fondo all’anima.****In der Fantasie sehe ich eine gerechte Welt
Wo alle in Frieden und Ehrlichkeit leben
Ich träume von Seelen, die immer frei sind
Wie die Wolken, die fliegen
Voll von Menschlichkeit, bis zum Grunde der Seele
In der Fantasie sehe ich eine helle Welt
Wo auch die Nacht weniger dunkel ist
Ich träume von Seelen, die immer frei sind
Wie die Wolken, die fliegen, voll von Menschlichkeit
In der Fantasie existiert ein warmer Wind
Der über die Städte weht, wie ein Freund
Ich träume von Seelen, die immer frei sind
Wie die Wolken, die fliegen,
voll von Menschlichkeit bis zum Grunde der Seele.