Märchen
Es war einmal ein Königshof. An diesem Hofe gab es starke Krieger und gescheite Gelehrte. Der König war ein König, die Frauen waren schön und die Männer mutig, der Pfarrer fromm und die Küchenmagd fleißig – nur Colombin, Colombin war nichts.
Da sagten die Ritter zu Colombin: Komm, kämpfe gegen uns, Mann gegen Mann! Und Colombin antwortete: Ich bin schwächer als jeder von euch! Und wenn jemand sagte: He, Colombin. Wie viel ist zwei mal sieben?, dann antwortete Colombin: Ich bin dümmer als du! Und wenn ihn jemand fragte: Traust du dich über den Graben zu springen?, dann antwortete er: Nein, ich traue mich nicht!
Eines Tages fragte der König Colombin: Was willst du werden, Colombin? Da antwortete Colombin: Ich will nichts werden. Ich bin schon etwas. Ich bin Colombin.
Wir alle müssen uns behaupten
unseren Platzin der Welt finden
uns beweisen
einordnen
beurteilen
messen
rechnen
beurkunden
prüfen
wägen
entscheiden
vergleichen
übertreffen
üben
trainieren
schwitzen
rackern
redlich sein
uns mühen
schuften
schmieren
buckeln
Zähne knirschen
wir suchen unseren
Platz
das Leben ist kein Ponyhof
und irgendwann
kommt einer
oder eine
und fragt
Wer bist du?
Was kannst du?
Was willst du? Was traust du dich?
Was steckt in dir?
Seinen Platzfinden
Schön wär´s wären
alle gleich
wüßte jeder
seinen Wert
seinen Platz
aber wir müssen ihn finden
mühsam genug
in einer Welt
die oft ungerecht
und verlogen ist
hart und anstregend
jeder und jede
froh
wenn sie darin ihren Platz gefunden hat
nicht ganz oben vermutlich
nicht ganz unten hoffentlich
mit List und Spucke irgendwo
mittendrin
Und dann ein Colombin
der irrtiert
darf denn einer
nichts sein?
Einer, dem es reicht
Colombin zu sein?
Der sich
allem Vergleichen
Klassifizieren
jeder Rangordnung
jedem Abstrampeln
jeder Herausforderung entzieht?
Ist das nicht Sand
im Getriebe der Welt?
Vielleicht…
Vielleicht aber auch die Einsicht
dass ich unmöglich
allen Anforderungen gerecht
alle Aufgaben erfüllen
kann
hinter meinem Wollen und Bemühen fast immer
zurückbleibe
und wenn ich ein Ziel erreiche
wartet schon das nächste
Vielleicht das Eingeständnis
dass ichauch scheitere
nicht alles erreiche
Muß ich meinenPlatz erst finden?
Werde ich dann wissenwer ich bin?
Was ich kann?
Oder reicht es
wie Colombin
zu wissen
dass ich längst etwas bin
bevor ich etwas werde?
Aus dem
Vertrauen
zu leben
so angenommen
so wertvoll
so geliebt
zu sein
wie
man
ist?
Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (Jes 43,1)
Pfarrer Uwe Tatjes
seinen platz finden, nicht mehr allem nachjagen müssen, zu sich stehen im licht und im schatten: johannes strate „ich mach meinen frieden mit mir“: https://youtu.be/5s0s0aHhlxY?si=4Ir4QdaviaQPWLYw