Adventskalender 19. Dezember

Publiziert am 19.12.2024

Briefe, die wir uns zu Weihnachten gewünscht hätten

Ich gehe an den Briefkasten und ziehe die Post heraus. Eine ganz Reihe bunter Karten, zwei Briefe finden sich zwischen Zeitungen, Werbung und Rechnungen. Weihnachtspost. Aus der Schweiz, aus Deutschland, aus den Niederlanden, aus Weissrussland, Aus Brasilien … Mal eher kurze, eher prosaische Grüße, mal sehr persönliche Meldungen und ausführliche Berichte… 

Ich freue mich über jede Karte, jeden Brief. Ich bekomme gerne Post.

Und während ich meine Post sortiere, erinnere ich mich an einen Text, der aus der Zusammenarbeit mit meiner lieben Kollegin und Freundin Anja Hauschild entstanden ist. Er stammt aus der „meditativen Christmette“, einem kreativen Raum, den wir beide gerne füllten in der heiligen Nacht um 23 Uhr, wenn wir diesen besonderen Gottesdienst zusammen gestalteten. O.K., ich gebe zu, für Anja war es manchmal Stress pur, wenn ich alter Trödelbär und Spontankasper mal wieder meine Texte nicht rechtzeitig auf die Reihe bekommen hatte und Anja sich abwechselnd ärgern (nein grämen!) und mit mir durch den Gottesdienst improvisieren musste (Sorry, Anja!).  Aber wenn wir dann mal zusammenlegten, dann hatten wir beide ein starkes Blatt, ein unwiderstehliches Spiel und waren ein Team. Wenn Weihnachten eine Geschichte ist, die nicht fertig ist, die offen ist für uns, durch uns und mit uns weitergeschrieben werden will, dann müßte einen das ja eigentlich motivieren, mal einen richtigen, einen wesentlichen Brief zu Weihnachten zu schreiben, einen, den man sich wünschen würde, aber für den man/frau noch keinen Mut und keine Gelegenheit hatte, ihn zu schreiben….
Und so folgen jetzt die Briefe, die Anja und ich formulierten und dann im Gottesdienst vorlasen…(by the way, der Brief, den Anja an ihren als jungen Mann tödlich verunfallten Bruder Ralf geschrieben hat, ist nach wie vor einer der berührendsten Texte, den ich je gelesen habe)…

Na Anja, weißt Du jetzt, wem Du einen Brief schreiben willst?

Ja, das weiß ich. Die wichtigsten Briefe vergisst man immer zu schreiben. Man kommt so selten zur Sache… Und das mag wohl stimmen, immer scheint alles andere gerade in dem Moment wichtiger zu sein. Und bei all der Alltagshektik vergisst du zum Beispiel ganz, was du an deiner Familie hast. Nimmst sie und alles was sie für dich tut als selbstverständlich hin. Du vergisst völlig, was du an ihnen hast und dass eine Familie ein echt großes Geschenk ist. Bis sie dann vielleicht durch irgendetwas auseinandergerissen wird…

Und da kam mir gerade in den Sinn, dass ich nie einen Weihnachtsbrief an meinen Bruder geschrieben habe. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, wann ich ihm das letzte mal sagte, wie wichtig er für mich ist. Und da dachte ich mir, das könnte ich heute nachholen…

Lieber Ralf,

die wichtigsten Briefe vergisst man immer zu schreiben.

Das möchte ich gerne ändern und dir heute sagen, dass du für mich jemand ganz besonderes bist. In dem was du tust und wofür du stehst bist du mir ein echtes Vorbild – vermutlich ohne es ja zu wissen.

Ein Mensch, der so in sich ruht, sich selber seiner so sicher ist, sich seiner selbst bewusst und dem dabei noch aus jeder Pore die Lebensfreude derart sprüht, dass es einem in deiner Gegenwart nur warm werden kann, ist mir noch nicht untergekommen. Du weißt, was gut und richtig ist, und was ungerecht und trittst dagegen mit deiner Person ein, egal, ob damals für deine Mitschülerin in der Schule, wo du dich mit den Lehrern anlegtest oder später in der Lehre, wo du ein anstrengender, weil kritischer Lehrling warst, aber im nachhinein einer der Besten, die dein Lehrherr jemals hatte, wie er später selber zugab. Du hast dir damit Respekt erworben, auch bei denen, die du kritisiertest, weil es dir nie gegen eine Person, sondern immer um die Person ging. Ich hätte mich das nie getraut. Auch wenn ich mich über Ungerechtigkeiten genau so geärgert hatte wie du. Ich bin dann eher wie Petrus gewesen: schnell begeistert, sehr impulsiv…und wenns drauf ankommt – feige…. Du nicht. Du hat es eher mit Luther gehalten: Hier stehe ich und kann nicht anders.

Und das alles in bester samarischer Tradition. Der Priester oder der Levit, das wären meine Rollen gewesen. Du hast mir gezeigt, wie es ist, ein Samariter zu sein.

Ich erlebe dich als einen Menschen, der sich selber ganz und gar mag. Dabei hast ja auch du deine Fehler und Schwächen, hast auch mal Mist gebaut, ein Auto geschrottet, Zeiten klammer Kassen gehabt. Aber das hat dich nie klein gemacht, du hast dich von solchen Rückschlägen und äußeren Einschränkungen nicht beschränken lassen. Du bist da eher wie Paulus, der es ja auch nicht nur leicht hatte. Auch in seinem Leben gab es Schatten, ohne dass Paulus sich von ihnen hätte beherrschen lassen, konnte sich ganz annehmen und fühlte sich in etwas größerem geborgen als in sich selbst. Entschuldige meine Kirchensprache – du hast halt ne Diakonin als Schwester. Das schlägt manchmal durch.

Was ich sagen möchte ist: Es gibt Menschen, die reden (nur) vom Evangelium. Ich denke, du lebst es einfach – ohne dass du es jemals selber so nennen würdest. Aber für mich fühlt es sich so an. Wenn wir alle so leben könnten – ganz – mit Licht und Schatten.

Zu Hause in uns und geborgen in Gott – und so in die Welt hinaus strahlten.

„What a wonderful world this could be“

Ich danke dir für das Leben mit dir.

Mögen Gottes Engel dich begleiten

In Liebe Deine Anja

PS:….vielleicht sollten wir uns alle wieder viel mehr Liebesbriefe schreiben.

Und jetzt zu Dir Uwe, wem hast Du denn einen Brief geschrieben?

Mir hat neulich eine Freundin erzählt, daß eine Verwandte von ihr mit Mitte dreißig unheilbar an Krebs erkrankt ist. Sie liegt jetzt im Hospiz und hat sich von allen Verwandten noch einmal Post gewünscht. Und ich habe mir gedacht, ihr müßte man schreiben. Sie wartet doch auf Weihnachtspost.

Oh, das klingt traurig. Was hast Du denn geschrieben?

Hör zu: Ich weiß nicht einmal wie Du heißt. Und trotzdem möchte ich Dir schreiben. Ich hoffe, ich darf „Du“ sagen. Mich hat berührt, was ich von dir gehört habe. Das „Du“ wird dieser Berührung und Nähe besser gerecht. Es klingt so verzweifelt, was ich von Dir gehört habe, so ausweglos. Mitte dreißig. Keine Chance mehr. Endstation Krebs. Ich werde gleich wütend, wenn ich das höre, weil ich Menschen sehe, die die gleiche Krankheit gehabt haben. Die kommt oft so tückisch. Gut, wenn man was machen kann. Oft ist es eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffen und Bangen. Manchmal verliert man die Kraft. Mit den Haaren manchmal auch den Lebensmut. Aber was, frage ich mich, macht man, wenn es gar keine Hoffnung mehr gibt? Wenn die Ärzte sagen, das war´s. Ich kann mich schwer hineinfühlen in diese Endgültigkeit. Ich freue mich noch des vollen Lebens und meiner Gesundheit. Ich merke aber, wie viel Angst mir allein die Vorstellung macht, es wäre bei mir so. Mir fällt ein, ich habe nicht einmal gefragt, ob Du Familie oder Kinder hast. Ich war zu betroffen. Bestimmt hast Du Menschen, die Dich vermissen werden, denen deine Krankheit wie ein Schwert durch die Seele fährt. Ich wünsche dir Menschen, die dir ganz nahe sind. Und die ganz ehrlich mit Dir sein können. In ihrer Traurigkeit. Aber auch in ihrer Wärme und Nähe. Du brauchst Dir und anderen ja nichts mehr vormachen. Du bist ja im Hospiz. Du bist bereit, Dich zu verabschieden.

Was soll ich Dir heute schreiben an Weihnachten?

Ich denke, Du bist über das süßliche an Weihnachten längst hinweg. Du spürst ja die Herbheit des Lebens. Darin ist Dir das Kind, in seiner unbehausten Hütte, in dem kratzigen Stroh, in dem zugigen Stall wohl ganz nah. Die Geschichte von Weihnachten macht uns ja keine Sekunde vor, daß auf einmal heile Welt ist. Darin bist Du eher Expertin als ich, der mal mit Menschen ein Stück mitgeht, sie begleitet, versucht Trost zu spenden usw. Aber was das wirklich heißt, das kannst Du viel besser ermessen.

Die Welt ist nicht heil. Es passieren Dinge, die man einfach nicht begreifen und einordnen kann. Und doch muß da etwas anders geworden sein. Das behauptet jedenfalls die Bibel.

Und ich glaube wirklich, daß Weihnachten etwas ganz Neues anfängt. Etwas, was uns tröstet und wärmt.

Wie magst Du so etwas hören? Nur eine Behauptung? Oder ein Unverschämtheit, Dir in so einer Lage so etwas zu sagen?

Ich denke mir, daß Du jetzt viel stärker spürst, was wichtig ist, was echt ist und was nicht.

Ich denke, du weißt, daß Gott ernst macht. Daß das nicht eine bloße Zaubernummer ist, mit dem Kind in der Krippe. Wenn dieses Kind Gottes Liebe verkörpert, dann läßt er sich ein auf die Verletztlichkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens. Ohne Ausstiegsklausel. Er läßt sich ein auf uns. Er geht auf uns ein. Unsere Tränen weint er. Unsere Schmerzen trägt er. Unserer Ohnmacht hält er stand. Unseren Tod hält er aus. Er bringt Hoffnung, in die Welt, die nicht totzukriegen ist. Aus dieser Hoffnung können wir nicht herausfallen, denn Gott selber hält sie hoch. Auch wenn Du selbst gar keine Hoffnung mehr hättest, ich bin mir sicher, du kannst niemals tiefer fallen als in Gottes Hand. Er ist immer nahe, seit Weihnachten. Ich weiß, das Gras der Hoffnung wächst leise. Aber ich hoffe, du kannst es wachsen hören. Hoffnung muß wachsen. So wie das Heil, das da an Weihnachten kommt, ja noch in den Windeln steckt.

Ich wünsche Dir, daß in Dir etwas von dieser Hoffnung wachsen kann: Gott ist nahe. Er ist bei mir. Nicht alles an Dir ist dem Tod geweiht. Wenn diese Hoffnung in Dir zu wachsen beginnt, dann hat der Tod schon verloren, auch wenn der Krebs noch wächst. Mag sein, daß die Hoffnung als letzte stirbt, ich glaube auch, sie wird als allererste auferstehn. Hoffnung kann immer noch wachsen. Sie ist stärker als der Tod. Und ich glaube, Dein Leben wird dann weiterwachsen, in den Himmel hinein. An den Ort, wo Gott schon ganz und gar ist. Wo es kein Leid und kein Geschrei und keinen Tod mehr gibt.

Mögen Menschen um Dich sein, die Dich in der Hoffnung bestärken.

Ich wünsche Dir ein behütetes Weihnachtsfest und Gottes Segen. Für Heute und morgen und übermorgen.

Alles Liebe Dein Uwe

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