Die Socken des Joseph
Ich frag mich ja, wie es dem Joseph ergangen sein mag. All die Unsicherheit einer Geburt weit weg von zu Hause, dazu die Verunsicherung, die uns Männer ergreift, wenn ein Kind geboren wird und wir endlich begreifen, dass die Frauen das starke Geschlecht sind. Dazu die Verunsicherung einer Volkszählung in damaligen Zeiten, der Aufwand für das junge paar, die bürokratischen Hürden, die mangelhafte Organisation von Tourismus und Gastgewerbe in Bethlehem. Und das allgemeine Gefühl: „Die da oben“.
Dann vielleicht die eigene Verunsicherung, noch ein ganz junges Paar und Eltern. Maria kommt darin eine besondere Rolle zu. Die trägt ein besonderes Kind aus. Die erhält geheimnisvolle Botschaften und und Verheissungen.
Dass sich auf einmal so viele Menschen um das Kind drängen. Joseph bleibt da eher Randfigur. In orthodoxen Ikonen wird er darum konsequenterweise oft auch ganz am Rand dargestellt, nachdenklich, zweifelnd. Ihm kommt auch im neuen Testament nur eine Rolle am Rande zu. Er bleibt seltsam stumm. Von Maria sind Worte überliefert. Von Joseph nicht. Er verschwindet auch einfach aus dem Blickfeld. Von seinem Tod wird nichts überliefert.
Mir ist der Joseph sympathisch. Weil er scheinbar so eine Randfigur ist, einer, den man leicht übersieht. Der nicht viel redet. Ich bin mir aber sicher, dass Joseph einer war, der zupacken konnte, schliesslich musste er als Zimmermann geschickte Hände haben und Augenmaß.
Es gibt ja viele so solche Josephe unter uns. Die sich nicht in den Vordergrund drängen. Eher im Hintergrund bleiben. Aber die anpacken, zupacken, da sind, wenn man sie braucht. Mein Papa ist so einer. Eher ruhig, sparsam mit Worten, aber ein unglaublich treuer und zuverlässiger Mensch. Einer, der sich für seine Familie eingesetzt hat. Mir mein Studium ermöglicht hat und dafür schwer geschuftet auf der Werft in Emden. Ich bin ihm sehr dankbar.
Ich denke mir, Joseph war auch so einer. Einer der treu war. Zuverlässig. Ein Rückhalt für Maria, die er trotz seiner Zweifel und obwohl er in dieser Geschichte so am Rande zu stehen scheint, nicht verlassen hat. Der sich mit ihr auf den Weg gemacht hat, nach Bethlehem, wo ihr besonderes Kind geboren werden sollte, später auf die Flucht nach Ägypten. Und viele andere Wege. Einer, der sich für seine LIeben und Anvertrauten Löcher in die Socken gelaufen hat. Die zerlöcherten Socken erinnern mich an die Wege, die Joseph gegangen ist. Ohne etwas für sich zu verlangen. Einfach und treu. Und sie erinnern mich an den Weg, den Gott gegangen ist, der in unseren Socken läuft, auf unseren Strassen. Die Löcher mögen Joseph manchmal an seine Zweifel erinnert haben. Aber wenn es so ist, das mit diesem Kind etwas Neues gekommen, wenn es bedeutet, dass Gott in unseren Socken läuft, dann gibt es Grund zur Hoffnung. Eben „Nicht der, der oben“, sondern „der mit uns unten“. Dann kann man auch mit Löchern in den Socken aufrecht gehen. Und ohne Joseph wäre dieses Geschichte auch nicht möglich gewesen, wenn er sich nicht eingesetzt hätte für seine Familie, sich die Hacken abgelaufen, jene Sicherheit gegeben hätte, in der das Kind heranwachsen und aus Jesus von Nazareth Jesus Christus werden konnte.
Weihnachten ist eine Hoffnungsgeschichte. Wir sind Teil dieser Hoffnungsgeschichte, wie die Hirten und Joseph mit seinen durchgewetzten Socken. Menschen am Rand werden wichtig, werden zu Botinnen und Boten, zu Trägern dieser Geschichte. Nicht zuletzt erinnert uns diese Geschichte daran, dass Gott zuerst zu denen mit Löchern in den Socken kommt und nicht zu denen mit der warmen, wohldekorierten Weihnachtsstube. An Weihnachten feiern wir diese Geschichte, wir teilen sie miteinander, weiten unseren Horizont und schöpfen neue Hoffnung. Denn „Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt.“ Ich wünsche uns, dass uns diese nahrhafte Geschichte Kraft gibt für unseren Lebensweg und dass wir – mit Löchern in den Socken, aber fröhlich – unseren Weg machen. Und das wir bereit sind, sie zu teilen. Denn nur so macht Hoffnung Sinn. Ich freue mich, dass wir in unserer Gemeinde in St. Antoni am 1. Weihnachtsfeiertag Abendmahl feiern und so symbolisch eine Tischgemeinschaft haben, und in der wir Hoffnung aus-teilen, schmecken und sehen können.
P.S. Und dem Schlaumeier, der jetzt sagt, in Palästina trug man zu der Zeit doch sicher keine Socken?, entgegne ich: Paulus schrieb an die Korinther: Kauft euch Socken, es wird Winter! 🙂
P.S.: Dies ist übrigens nicht das letzte Kalenderblatt, nach alter Väter (und ostfriesischer) Sitte geht es noch weiter bis lüttje Wienacht („Kleine Weihnacht“), dem Epiphaniastag, dem 06. Januar, wenn der kleine Weihnachtsfestkreis endet. Tja, so leicht entkommt ihr nicht meinen tagtäglichen Plattitüden wohl dann doch nicht… Immerhin: ich wünsche allen Leserinnen und Lesern von Herzen ein frohes und gesegnetes Christfest 2024!
Zur Musik für heute: zu einem fröhlichen, ja beschwingten Gang (auch mit Löchern in den Socken!) passt wunderbar das verspielte Spiel der norwegischen Fidel, die durch das Jazzpiano geerdet wird…. „Kremmeren“ (der Krämer/Kaufmann, na ich lasse mich mehr von der Musik als vom Titel leiten in diesem Fall 😉 wobei es leider zu Weihnachten in unseren Breiten auf eine ganz blöde Weise wie die Faust aufs Auge passt, vom Album Slåttejazz (Helene Håp & Ole Sigvard Lunnan):