Gott 2.0 oder: Das Heil online
Schreiben Sie Ihre Predigten eigentlich selbst oder holen Sie sich da auch manchmal Tipps aus dem Internet?, fragte mich neulich jemand augenzwinkernd. Nein, um Gottes Willen, antwortete ich todernst, Selbertippen ist doch total altmodisch. Also entweder ich rufe beim Homiletiker um die Ecke an und lasse mir ne Predigt kommen (ab drei Predigten gibt es nen Kirchenkaffee oder ein Fläschen Weihwasser gratis dazu) oder ich geh auf www.mein-Gott.de, ziehe ne Kanzelrede, copy & paste, Amen drunter, fertig ist die Miezekatze. (Ja, ich bitte um Entschuldigung, manchmal kann ich furchtbar ironisch sein.)
Ja, es ist so, in den Zeiten der Digitalisierung kommt niemand um die die moderne Technik herum. Meine Gemeinden mussten sich auch immer erst daran gewöhnen, dass ich nicht mit dem unter Pfarrerslueten obligatorischen Ringbinder im A5-Format daherkomme, sondern meine Predigten immer auf dem iPad geladen habe und nicht mehr blättere, sondern scrolle.
Der Papst twittert und vom Alphakurs bis zur Onlinebeichte ist auch die Religion reichlich im Internet vertreten. Und selbst ewige Ruhe, bzw. eine statische IP-Adresse findet man auf diversen Onlinefriedhöfen.
Ob dann gleich das Internet selbst zum Gott aufsteigt, wie ein Thinktank aus der Schweiz behauptet, wage ich zu bezweifeln. Zitat: „Je gottloser sich die digitalisierte Welt zeigt, desto mehr stellt sich die Frage, ob Gott in Form des Internets eine Auferstehung feiert. Es stiftet Trost, hilft bei der Selbstkultivierung, definiert Rituale, schafft Gemeinschaften, lenkt die Geschicke auf einer übermenschlichen Ebene und verschafft eine Perspektive auf das ewige Leben.“ Wirklich? Ich glaube nicht…Auf jeden Fall vermag das Internet uns Menschen zu fesseln und das in in recht doppeldeutiger Hinsicht. Natürlich einerseits als durchaus faszinierendes Tor zur Welt, als Wissenquelle, als Forum, als Vernetzung. Aber andererseits auch indem es Zeit und Aufmerksamkeit frisst (ich denke an all die Bildschirmgesichter und Kopfhörerohren, die mich auf allen Bahnfahrten begleiten, gelegentlich bin ich auch eins von ihnen, in letzter Zeit nehme ich aber öfter ein Buch mit oder unterhalte mich mit anderen Mitreisenden). Vor allem aber auch darin, dass es Menschen abhängig macht und uns in unserer Freiheit einschränkt, wie Kritiker unseres Internetkonsums zu Recht erinnern. Denn durch die Ortungsfunktionen der Tablets und Smartphones und die Funktionen der sogenannten „augemented reality“ wird jeder unserer Schritte nachvollziehbar und wir der totalen Überwachung preisgegeben. Wir breiten unser Leben im Internet und gewinnen dadurch nicht an Intensität und Emotionen, vielleit an Likes oder Traffic.
Also durchaus ein Grund, dem Internet kritisch, aber auch neugierig und offen zu begegnen und sich ein Gefühl für sich und sein Onlineverhalten zu bewahren. Wenn dein Erscheinen beim Mittagessen nur per Facebookeinladung gesichert ist und du mit deiner Freundin nur noch virtuell verkehrst, läuft irgendetwas schief.
Wie Paulus schon schreibt: Prüfet aber alles, und das Gute behaltet! (1 Thess 5,21) Spoiler: Das wird die Jahreslosung 2025! Der Glaube war ja schon www., längst bevor das Internet erfunden wurde, kommunikativ, gut vernetzt, weltweit, immer online.
Vor diesem Hintergrund nun mein heutiges Kalenderblatt, eine wirklich amüsante Adaption der Weihnachtsgeschichte für das Web 2.0, kreiert vom Schweizer Detailisten MIGROS als Werbung für seine diversen Angebote. Gut gelungen!„Maria, wir müssen reden…“, der Weg nach Bethlehem auf Google Maps und die Heiligen Drei Könige kaufen ihre Geschenke online… Toll erzählt, schmissig geschnitten.Mir fehlt da das Erdige und der Stallgeruch, gut gemacht ist es trotdzem, viel Spaß damit: https://youtu.be/tfL2wiReNrk?si=sZ0vm3UPu3Vj5hWR
Es gibt ein älteres Original aus Portugal (auf Englisch), das fidne ich in manchen Details fast noch besserhttp://www.youtube.com/watch?v=8gFYzErcweg
Und damit einen guten Ausklang des ersten Weihnachtstages! Frohe Weihnachten allseits!
Zur Musik für heute: um eine andere art der vernetzung, des anknüpfens geht es im lied von clemens bittlinger „gott spannt leise feine fäden“, zu weihnachten darf man ja auch mal ein christliches lied verschicken, oder?