Winterose
Frierend drängen sich die Jugendlichen in das kleine Häuschen. Die Menschenhuschen an diesem eisigen Tag achtlos vorbei. Jeder sieht zu, daß er schnell ins Warme kommt. Und wer doch mal kurz stehenbleibt strebt schnell zu Bratwürsten und Glühweinbuden weiter. Da will man was für den guten Zweck tun und keinen interessiert ́s. Die Jugendlichen sind unverdrossen, auch wenn nur wenige Menschen sich in den Hirtenstall verirren. Immerhin, am Ende des Tages kommt doch noch ein bisschen was für behinderte Kinder in Rumänien zusammen.
Als ich über den Weihnachtsmarkt nach Hause gehe, dudelt vom Kinderkarussell das alte Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ herüber. Ein Hoffnungslied, das anknüpft an das, was der Prophet Jesaja einst seinem Volk als Hoffnung verkündet hat. „Ein Spross wächst aus dem Baumstumpf Isai, ein neuer Trieb schießt hervor aus seinen Wurzeln.“ (Jes 11,1)
Könnte man hier auch brauchen, denke ich. Irgendwie ist das hier ja jedes Jahr dasselbe. Die Buden, das Gedränge, der Glühweindunst, das Riesenrad. Nichts Überraschendes. Vielleicht suchen die Leute das hier auch gar nicht.
Aber ein „Ros entsprungen … mitten im kalten Winter“, das würde ich mir wünschen. Ein bisschen mehr Hoffnung. Ein bisschen mehr Sehnsucht. Ein bisschen mehr fragen nach dem was sein kann und nicht nur nach dem, was schon immer so war. Darum geht es doch eigentlich. „Bringt das was?“, hat einer der Passanten gefragt. „Das passt hier doch gar nicht her.“
Advent ist noch mehr als das, was ich schon kenne. Schade, wenn das untergeht. Schade, wenn Kirche auf dem Weihnachtsmarkt nicht mehr passt. Gehen wir eigentlich auch unter, wenn wir den Ursprung unserer christlichen Feste, unserer Kultur, mehr und mehr vergessen? Jesaja musste das in seiner Zeit erleben. Die Gleichgültigkeit der Menschen führte in den Untergang. Der Baumstumpf, von dem Jesaja spricht, ist das Volk Israel, das eigene Wege ging und seine Freiheit verlor.
Und doch war das nicht das Ende. Ein neuer Schoss, ein Trieb ist da. Ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist. Er kann wieder ausschlagen.
Das ist ein schönes Hoffnungszeichen. Wie eine Rose mitten im Winter. Das gibt neuen Mut. Das reizt zur Hoffnung. Gott will es so.
Ein Gedicht von Bertold Brecht kommt mir in den Sinn:
Ach, wie sollen wir die kleine Rose buchen? Plötzlich dunkelrot und jung und nah?
ach, wir kamen nicht sie zu besuchen
Aber als wir kamen, war sie da.
Ehe sie da war, ward sie nicht erwartet. Als sie da war, ward sie kaum geglaubt. Ach zum Ziele kam, was nie gestartet. Aber war es so nicht überhaupt?
Ich weiß nicht ob Brecht damit an das alte Weihnachtslied oder Jesaja gedacht hat. Aber seine Zeilen passen wunderbar zu diesem Bild. „Ehe sie da war, ward sie nicht erwartet. Als sie da war, ward sie kaum geglaubt.“ So ist das wohl mit dem Glauben und mit der Hoffnung. Es dürfte sie gar nicht geben, aber nun gibt es sie. Und das ist gut so. Wir brauchen sie. Die Rosen im Winter.
Und heute sind mir unsere Konfirmanden zu einer kleinen Rose „mitten im kalten Winter“ geworden.
die Musik für heute liegt auf der Hand… feierlich, zeitlos, uralt and forever young…. die bekannte Melodie „Es ist ein Ros entsprungen“ von der wunderbaren CD „Christmas with my friends“ des schwedischen Jazz und R&B-Posaunisten Nils Landgren
enjoy!