Adventskalender 9. Dezember: Gebrochen schön

Publiziert am 9.12.2025

Kennst Du Kintsugi? Nein? Das macht nichts, denn ich möchte Dir jetzt etwas darüber erzählen.
Kintsugi bezeichnet die alte japanische Technik, aus zerbrochener Keramik durch Kleben mit Urushi-Lack wieder vollständige, wiederbenutzbare Gegenstände zu machen. Die Bruchstellen werden dabei nicht kaschiert, sondern mit goldfarbenem Lack besonders hervorgehoben. Die Brüche, die anschliessend wie goldfarbene Narben aussehen, werde nicht als Makel betrachtet, sondern bilden einen Teil der Geschichte des Gegenstandes, der nicht einfach verschwiegen werden darf oder wegfallen kann. Dies folgt der der buddhistischen Zen-Philosophie des Wabi Sabi, die sich gegen prunkvollen Luxus wendet und stattdessen die natürliche und zerbrechliche Schönheit der Dinge in ihrer Unvollkommenheit herausstellt. Durch die Reparatur und goldfarbene Bemalung werden die Bruchstellen besonders hervorgehoben. Da die Reparatur aufwendig und die Materialien teuer sind, werden die Keramikstücke durch ihr Zerbrechen erst wertvoller, oft viel wertvoller als vorher.
Ich finde diesen Ansatz wunderschön. Und ich frage mich, ob wir den Advent nicht als Chance begreifen könnten, uns den Bruchstücken und Narben unseres Lebens, den Verletzungen und Unvollkommenheiten zu stellen, sie nicht mehr schamvoll zu verbergen versuchen, sondern sie als Teil unserer Geschichte und Identität zu verstehen? Wäre das nicht dem Gott angemessen, der zerbrechlich und hilflos als Kind zu Welt kommt, der sich als Mann um die Ausgestossenen und Zerbrochen, die Ungenügenden und Zweifelhaften kümmert? Und der sich selbst am Kreuz zerbrechen lässt?
Wäre es nicht paradox, wenn wir im Kleinen Grösse, in der Unvollkommenheit Würde, im Zerbrechen ein Wachsen, im Fragment unsere Menschlichkeit erkennen würden?
Wie oft streben wir nach Vollkommenheit, leiden unter dem Druck, den wir oder andere uns machen und können uns doch so schwer eingestehen, daß wir eben nicht perfekt sind. Eher treiben wir großen Aufwand, um unsere Fehler und Schwächen zu vertuschen und immer als stark dazustehen. Wir schwer fällt es uns oft, Hilfe anzunehmen?
Wie entlastend wäre es, wenn wir uns unsere Unvollkommenheit eingestehen könnten und damit auch versöhnt umgehen. In der Erkenntnis, daß unser Leben niemals vollkommen sein wird und muß. Und daß gerade unser Unvollkommensein uns immer wieder neu Chancen und Möglichkeiten ermöglicht. Pierre Stutz schreibt in seinem Text: „Befreiende Unvollkommenheit“: Befreiend die Grundhaltung/ scheitern zu dürfen/ unvollkommen zu bleiben/ als hohes Ideal echter Menschwerdung./ All mein Sein und Wirken/ bleibt zum Glück immer Stückwerk/ auch wenn ich mein Bestes gegeben habe/ bleibe ich mir und anderen etwas schuldig/ Erlösend die Einsicht/ an Brüchen wachsen zu können/ aus Fehlern lernen zu dürfen/ als Weg der Toleranz.//Bewegend die Zusage/ niemals perfekt sein zu müssen/ stets reifen zu können/ als Versöhnung mit dem Leben. Ich wünsche Dir und mir diesen befreienden und entlastenden Glauben, der auch die Narben und Unvollkommenheiten des Lebens annehmen kann und versöhnt damit ist.

Pfarrer Uwe Hayno Klaas Tatjes

Als Musik für heute wähle ich den alten David Bowie Hit „Heroes“, der davon erzählt, dass wir keine übermenschlichen Kräfte brauchen, um Helden zu sein. Wenn wir Menschen sind und bleiben, wenn wir uns unserer Unvollkommenheit nicht schämen und auch andere in ihrer Unvollkommenheit annehmen können, dann kommt etwas in Gang, allen Widrigkeiten des Lebens zum Trotz…

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